Wer früher screent, wird genauso krank

Shownotes

Krebsfrüherkennung (etwa die Mammographie bei Frauen oder die Prostatakrebs-Untersuchung bei Männern) werden ja gern und oft empfohlen. Die hervorragende australische Medizinjournalistin Maryanne Demasi hat jüngst auf eine problematische Seite dieser Früherkennung hingewiesen. Eine große englische Studie ergab nämlich, dass die Vorteile solcher Früherkennung keineswegs so eindeutig sind wie behauptet. Zwar führt Prostatakrebs-Früherkennung zu mehr Krebsdiagnosen - aber weder leben die so diagnostizierten länger noch ist ihr Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, deutlich geringer als bei denen, die keine Früherkennung durchführen ließen. Was das bedeutet und wie man mit solchen Forschungsergebnissen umgehen sollte, besprechen Volker Pietzsch und Dr. med. Sybille Freund in der heutigen Folge von „Medizin für Mitdenker“.

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https://substack.com/@maryannedemasi

Alle Podcastfolgen sowie ein ausführliches Stichwortverzeichnis finden Sie unter https://doktorfreund.de/podcast

Transkript anzeigen

00:00:02: Die heutige Podcast-Episode.

00:00:12: beginnen wir mal mit einer, wie sagt man heute so schön, umstrittenen Persönlichkeit.

00:00:18: Oh ja, das ist ein guter Start.

00:00:21: Du hast etwas mitgebracht von einer australischen Journalistin, glaube ich.

00:00:25: Das ist eine ganz tolle Medizinjournalistin, die ich wirklich super finde.

00:00:29: Die ist sowas von am Puls der Zeit.

00:00:31: Das ist unglaublich.

00:00:32: Die reagiert auch so schnell.

00:00:33: Die hat auch ganz schnell die Informationen zusammen, die es benötigt um eine Situation.

00:00:39: möglichst gut einschätzen zu können.

00:00:41: Das ist Marianne Demasi aus Australien oder Demasi.

00:00:45: Ich weiß nicht, wie man sie genauso ausspricht.

00:00:48: Ja, die ist, war tätig für ABC News.

00:00:51: Kannst du ja mal was zu erzählen?

00:00:52: Du bist ja hier bei uns der Medienschaffende.

00:00:56: Na gut, wir haben natürlich in den... amerikanische, englischsprachigen Ländern ein anderes System.

00:01:02: Also Großbritannien hat auch noch ein öffentlich-rechtliches System.

00:01:05: Das spielt aber in Australien und in USA keine Rolle.

00:01:08: Das heißt, da sind es vorrangig privatrechtliche Unternehmen und ABC ist ein privatrechtliches Unternehmen.

00:01:15: Ich würde es aber von der Ausrichtung, wie es vielleicht politisch tangiert, durchaus in die Nähe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei uns bringen.

00:01:24: Also es ist vergleichbar vielleicht mit ARD und ZDF?

00:01:27: Nur, dass es kommerziell ist.

00:01:28: Vielleicht mit RTL.

00:01:30: RTL, okay.

00:01:31: Und für die hat sie lange gearbeitet und sehr viel recherchiert.

00:01:35: Hat sich sehr bemüht.

00:01:36: Ich hab mal ein Feature von ihr gesehen.

00:01:38: Das war sehr interessant, wie sie dort gearbeitet hat und was sie alles dafür tut, um valide Informationen zu bekommen.

00:01:46: Und dann wurden irgendwann ihre Dokumentationen abgesetzt.

00:01:50: Da gab es, wenn ich das gerade gelesen habe, durchaus schon inhaltliche Kritik.

00:01:54: Und zwar wurde ihr eine Schlags- oder eine Einseitigkeit nachgesagt.

00:01:59: Ich würde das aber tatsächlich so ein bisschen so auf den ersten Blick immer, wenn ich das Wort umstritten, deswegen habe ich auch diesen Podcast damit angefangen.

00:02:06: Wenn man in Wikipedia oder sonst was liest, dass eine Person umstritten ist, dann ist es für mich heute eigentlich der Punkt, dass ich anfange, mir ein Bild über die Person zu machen und zu recherchieren, weil wenn ich mich in einem neutralen Kontext bewege, dann gehört das Wort umstritten nicht dazu.

00:02:25: Ja, und ich, also mir geht's ähnlich und ich finde, das sind meistens Personen, die man Kontrapunkt setzen können, zu dem, was man im allgemeinen medialen...

00:02:35: Gegen den Mainstream.

00:02:36: Mainstream

00:02:36: hört, ja, genau.

00:02:37: Und da ist es einfach interessant, sich auch mal andere Stimmen anzugucken.

00:02:40: Und dann kann man ja gucken, macht das Sinn, ist es valide, was Diora, der sagt und so.

00:02:45: Und bei Marion de Maisi ist es halt meiner Ansicht nach wirklich valide, die macht ganz tolle, ganz tolle... Journalistische Arbeit finde

00:02:53: ich.

00:02:54: Und selbst wenn im wissenschaftlichen Journalismus ist natürlich auch das Ding, dass wir immer ein Irrtum heute haben, der morgen wiederlegt werden kann.

00:03:03: Also das ist ja das Problem, was wir auch manchmal damit haben.

00:03:06: Insofern, wenn der Satz um das mal zu sagen, die Wissenschaft fällt, dann sollten alle Alarmglocken angehen, weil die Wissenschaft gibt es nicht.

00:03:16: Also die Wissenschaft.

00:03:18: Ja, richtig.

00:03:19: Man muss es immer kritisch hinterfragen und immer wenn jemand kritische Fragen stellt, ist er meines Erachtens interessant und nicht nicht absurdum.

00:03:27: geführt, nur weil er interessante Fragen stellt.

00:03:29: Auf jeden Fall hat sie jetzt in einem aktuellen Artikel eine Studie aufgeführt und sich damit beschäftigt.

00:03:35: Da geht es mal wieder um die Diagnostik von Prostatakrebs im Frühstadium, also Vorsorgeuntersuchungen.

00:03:44: Ich sorge mich schon mal vor, wie wir auch ganz gerne sagen, Früherkennungsuntersuchungen kann man es auch nennen.

00:03:49: Die Frage ist immer, wie viel Sinn macht das?

00:03:51: Wir haben das auch bei Brustkrebs.

00:03:53: Früherkennung, immer wieder diese Frage, wie sinnvoll ist das eigentlich?

00:03:57: Aktuell hat sie jetzt diese Studie vorgestellt, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde.

00:04:04: Das New England Journal of Medicine ist ein Journal, das wirklich... als veritable gilt, sage ich mal.

00:04:11: Und ja, diese Studie begann in der Jahr three-neunzig, hatte eine Nachbeobachtungszeit von dreiundzwanzig Jahren.

00:04:17: Das ist auch ziemlich gut und wirklich eine große Patientenschaft.

00:04:21: Also hundertsechzigtausend Männer wurden da verfolgt im Alter von fünfundfünfzig bis neunundsechzig Jahren.

00:04:28: Und die Patienten, diese Männer wurden dann zwei Gruppen aufgeteilt und regelmäßig untersucht.

00:04:34: Da hat sich dann herausgestellt, dass dieses Screening, was man auch erwartet hat, zu dreißig Prozent mehr Prostatakrebsdiagnosen geführt hat.

00:04:43: Die waren aber in den meisten Fällen Low Risk Tumors, also Tumore mit einem niedrigen Risiko, die auch eigentlich nie einen Schaden angerichtet hätten.

00:04:54: Und das ist jetzt so ein bisschen das Problem.

00:04:57: Man sieht dann Veränderungen, aber die Frage ist, sind die wirklich relevant für den einzelnen Patienten.

00:05:03: Also, man hat dreißig Prozent mehr Prostatakrebsdiagnosen gefunden und man hat dann tatsächlich auch festgestellt, dass diese Männer, die gescreen worden, dreizehn Prozent geringeres Risiko hatten, an Prostatakrebs zu sterben.

00:05:17: Das klingt dann erst mal ganz gut, aber man muss auch sagen, dreizehnprozentiges Risiko ist relativ.

00:05:24: Und wenn wir das absolut angucken, sieht es schon wieder ein bisschen anders aus, da ist nämlich die Wahrscheinlichkeit zu sterben, geschrumpft um Null Komma zwei Prozent.

00:05:34: Also eins Komma vier Prozent gegenüber eins Komma sechs Prozent vorher.

00:05:38: Das macht schon wieder was ganz anderes mit einem, ob man jetzt das relative Risiko um dreizehn Prozent senkt oder die absolute Sterblichkeit um null Komma zwei.

00:05:48: Prozent runter geht.

00:05:48: Kannst du mir folgen?

00:05:50: Ich kann dir total folgen und für mich kommt, auch wenn ich den Wert von dreizehn Prozent noch mal nehme, es ist ja immer die Frage, was hat es für eine Auswirkung auf meine Lebensqualität, wenn eine Diagnose erfolgt und dann vielleicht eine Behandlung danach?

00:06:05: Und das ist so ganz interessant, das ist so der Gegensatz zwischen Epidemiologie, also was passiert in der großen Gesellschaft gegenüber der einzelne Patient.

00:06:15: Was hat der denn jetzt davon?

00:06:16: Wie geht es dem denn jetzt damit?

00:06:18: Und da es nämlich nochmal eine ganz spannende Sache, die rausgekommen ist, nämlich die Gesamtsterblichkeitsrate war in beiden Gruppen identisch.

00:06:28: Das heißt also, die Gesamtzahl der Todesfälle war in beiden Gruppen genau gleich.

00:06:34: Verrückt, ne?

00:06:35: Da denkt man jetzt, die eine Gruppe müsste ja toll überlebt haben, viel besseres Überleben gehabt haben, aber das war nicht so.

00:06:41: Und sowas ähnlich sehen wir auch bei der Vorsorge oder bei der Frühjerkennung von Brustkrebs.

00:06:47: Also, dass diese Screening-Methoden sind nicht so, es ist nicht so, dass man diesen Gedanken, den man eigentlich ganz logisch findet, man geht zur Vorsorge, man geht zur Frühjerkennungsuntersuchung und dann lebt man länger.

00:07:00: So, ja, das ist ja eigentlich der Gedanke, den man hat.

00:07:03: Der ist so nicht.

00:07:05: Und für mich, das ist die Frage, die ich gerade so ein bisschen ist, aber jetzt dann vielleicht keine medizinische, sondern eine ethische Frage, wie lebt man?

00:07:13: Ist für mich ja dann auch noch eine Frage.

00:07:16: Ich möchte aber auch noch einen Punkt betonen und der ist mir wirklich, wirklich wichtig.

00:07:20: Wenn die Leute zum Screening gehen, gibt es natürlich immer wieder Menschen, die man frühzeitig erkennt und bei denen man in diesem besonderen Fall wirklich was tun kann, um ihre Lebenschancen und Situationen zu verbessern.

00:07:35: Aber so wie es aussieht, zumindest jetzt bei dieser Studie, ist das nur einer von fünfhundert Patienten.

00:07:42: Und wenn man jetzt zu den fourhundertneunzig gehört und man hat vielleicht eine positive Diagnose, d.h.

00:07:48: als der PSA ist erhöht oder man findet einen Knoten in der Brust, der auffällig ist oder so, dann wird eine Biopsy gemacht, dann wird operiert, dann wird therapiert in irgendeiner Form oder bei diesen niedrigmal liegenden Prostataka-Zenomen wird eventuell in einem hohen Alter eine Chemotherapie gegeben.

00:08:06: Und dann überwiegt der toxische Effekt der Chemotherapie möglicherweise den Benefit, dass das der Tumor weggeht.

00:08:12: Und dann stirbt der Patient möglicherweise an der Chemotherapie.

00:08:16: Also es sind immer so Gradwanderungen.

00:08:18: Und natürlich ist es schön, wenn man jemanden frühzeitig entdeckt und dem wirklich helfen kann.

00:08:24: Aber man muss eben immer im Kopf haben, dass die Leute, die einen hohen PSA-Wert haben, Definitiv, das ist wie ein Fließband.

00:08:32: Du hast diesen PSA, diesen PSA-Wert, der ist hoch, und dann kannst du auch nicht sagen, ich mache keine Diagnostik, sondern dann bist du auf diesem Fließband, dann kommt die nächste Station, also Diagnostik, MRT, Biopsy, OP, keine Ahnung, es kommt so alles nach einander, das läuft dann ab, automatisiert.

00:08:50: Und das kann für Patienten schon echt... üble Folgen haben, muss man sagen.

00:08:55: Ja, das ist eben die andere Seite.

00:08:56: Also es kann sein, dass die dadurch dann auch durch eine eventuell unnötige OP, dass die Männer in Kontinent werden, dass sie keinen Geschlechtsverkehr mehr haben können, dass sie Angst, eine Angststörung entwickeln, Depressionen entwickeln oder so.

00:09:10: Und das muss man nur ein bisschen bedenken.

00:09:13: Ja, man muss halt, wenn man sich dann überlegt, will ich eine Frühjerkennungsuntersuchung machen.

00:09:18: Was würde ich denn machen, wenn da jetzt was rauskommt?

00:09:20: Wie würde ich denn damit umgehen?

00:09:21: Also ich denke, man sollte sich darüber Gedanken machen.

00:09:24: Also nicht einfach nur, sag ich mal, Dinge in Anspruch nehmen, weil sie von einem Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden, sondern auch überlegen, wenn ich jetzt dahin gehe, welche Konsequenzen kann das für mich haben und möchte ich das überhaupt?

00:09:37: Es heißt auch nicht umsonst in dem Artikel, dass es ein Dilemma ist.

00:09:40: Ja, es ist einfach unheimlich schwer, das zu entscheiden, weil bist du eventuell der eine von den Fünfhundert, die jetzt davon profitieren oder Bist du einer von den fourhundertneunzig, die eben nicht profitieren und möglicherweise sogar ein schlechteres Outcome haben?

00:09:54: Also Probleme dadurch kriegen, Infektionen kriegen durch eine Operation, Probleme durch eine Biopsy, keine Ahnung, irgendwelche anderen Themen kriegen.

00:10:02: Das ist dann die Frage.

00:10:03: Und wenn insgesamt die Mortalität nicht runtergeht, ist es natürlich auch nicht so, wie man sich das jetzt wünschen würde.

00:10:10: Ja, und deswegen ist das tatsächlich... Wir können den Titel des Podcasts heute am Ende mal wieder ganz nach vorne stellen.

00:10:16: Medizin für Mitdenker.

00:10:18: Das heißt, es gehört wirklich bei jedem... Bei jeder Behandlung, bei jeder Leistung, die man Anspruch nimmt, die Überlegung, was bedeutet das für mich?

00:10:26: Wenn natürlich erst den Verdacht gibt, dass jemanden irgendwie eine Katzinomenneigung hat, es gibt ja auch Leute, die hatten schon mehrere Tumorerkrankungen oder haben ein schlechtes Immunsystem oder haben in der Familie irgendwelche Tumorerkrankungen und haben Sorge, dass sie da was haben könnten, dann müssen sie natürlich oder sollen sie natürlich gerne diese Untersuchung machen lassen.

00:10:47: Was mir nur wichtig ist, ist aufzuzeigen, dass es da leider auch eine negative Seite der Medaille gibt.

00:10:54: Und dass man es bitte abwägen soll.

00:10:56: Man muss darüber nachdenken.

00:10:57: Man muss sich mal mit dem Thema konfrontieren, auch wenn es sehr unangenehm ist.

00:11:01: Und einmal durchdenken, was will ich denn eigentlich?

00:11:04: Medizin für Mitdenker.

00:11:07: Der etwas andere Gesundheits-Podcast mit Volker Pietzsch und Dr.

00:11:11: Mezibille Freund.

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